Tolkiens Universum

von Lin Carter

Über

Bereits 1969 erschien die Originalausgabe dieses nun erstmals auf Deutsch vorliegenden Klassikers der Sekundärliteratur zu J.R.R. Tolkien. Der Fantasy-Autor Lin Carter, vor allem bekannt durch die Fortsetzung von Robert E. Howards Conan-Saga sowie vergleichbaren Romanen der heroischen Fantasy, hat sich als einer der wesentlichen Wegbereiter um die moderne Fantasy-Literatur verdient gemacht. Als Herausgeber der Klassiker von Lord Dunsany, James Branch Cabell oder E.R. Eddison erschloss er deren Werke ganz neuen Leserkreisen. Carter zählte auch zu den ersten, die Tolkiens Universum einer tiefer gehenden Betrachtung unterzogen und versuchten, seine mythologischen Wurzeln aufzuspüren.

Es handelt sich jedoch keineswegs um eine trockene, wissenschaftliche Abhandlung. Carter wendet sich an alle Leser Tolkiens, die mehr über seine Einflüsse und die Traditionen, die ihn geprägt haben, erfahren wollen. Dabei ist ihm eine höchst unterhaltsam geschriebene und aufschlussreiche Studie über Tolkiens literarische Quellen sowie der Sagen und Mythen gelungen, derer er sich für sein Werk bediente. Nach einer kurzen Einführung in Tolkiens Leben und Werk folgt eine kurzweilige Zusammenfassung von Der kleine Hobbit und Der Herr der Ringe, was den Vorteil hat, dass man Carters Buch auch genießen kann, ohne sich vorher eingehend mit Tolkien beschäftigt haben zu müssen.

Carter diskutiert verschiedene Ansätze, ob Tolkiens Trilogie als Satire oder Allegorie zu verstehen ist, und beschäftigt sich eingehend mit Tolkiens Märchentheorie, die dieser in dem Aufsatz "Über Märchen" (veröffentlicht in Baum und Blatt) dargelegt hat. Er bezeichnet Der Herr der Ringe als epische Fantasy und setzt bei Homer und der epischen Dichtung an, um die Form und die Themen von Tolkiens Werk zu begreifen. So verfolgt Carter Tolkiens mythologische Wurzeln vom klassischen Altertum über die mittelalterliche Romanze und das klassische Heldenlied bis hin zu den Begründern der modernen Fantasy. Dabei klebt er durchaus nicht sklavisch an Tolkien, sondern lässt dem Leser genügend Freiraum, Gemeinsamkeiten zu entdecken sowie einen interessanten Überblick über die Entstehung und Entwicklung der fantastischen Literatur als eigenständiges Genre zu gewinnen.

Richtig spannend wird es, wenn sich Carter Tolkiens Hauptquellen zuwendet: den nordischen Mythen und Legenden wie der Edda oder der Nibelungensage. Tolkien hat nicht nur einzelne Namen wie Gandalf oder Thorin direkt daraus übernommen, sondern sich auch vieler Handlungsstränge und erzählerischer Motive bedient. Es macht wahrhaft großen Spaß, Carters detektivischem Spürsinn auf seinen literarischen Entdeckungen zu folgen. Vor allem macht es auch Lust, selbst diese Quellen zu entdecken und in den Stoffen zu schmökern, die Tolkien inspiriert und beeinflusst haben. Tolkiens Universum bietet dazu wahrlich genug Anregungen!

Es mag zunächst als ein kleiner Nachteil erscheinen, dass das Buch aus dem Jahr 1969 ist und Carter so gezwungen ist, über einiges zu spekulieren, was inzwischen durch die Veröffentlichung des Silmarillion und weiterer Werke aus dem Nachlass Tolkiens geklärt ist. Andererseits eröffnet diese erfrischende, weil zeitnahe, Herangehensweise auch ganz neue Perspektiven. Abgerundet wird das Buch außerdem durch ein Postskriptum über die Fantasy-Literatur nach Tolkien sowie eine umfangreiche Bibliografie. --Birgit Schwenger

Erschienen

1969

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