Virginia Woolf

von Nigel Nicolson

Über

Waren die sexuellen Übergriffe ihrer älteren Halbbrüder George und Gerald Duckworth Ursache für Virginias spätere Sexualangst und ihre regelmäßig auftretenden psychotischen Schübe? Lange Zeit herrschte Unklarheit über diesen dunklen Fleck ihrer Kindheit. Besonders George wurde nach dem frühen Tod der gemeinsamen Mutter als größter Bösewicht ausgemacht. Virginia Woolf berichtete später von "heftigen Leidenschaftsausbrüchen" und verurteilte Georges tierisches Verhalten aufs Schärfste. Woolf-Forscher wie die Amerikanerin Louise de Salvo vermuteten gar einen Fall von Inzest. Dank Nigel Nicolson erhalten wir hierüber nun Klärung aus erster Hand -- eine Lebensbetrachtung, die den üblichen Rahmen sprengt.

Kaum einer scheint für die Reihe Biographische Passionen besser geeignet, das Leben seiner "Lieblingstante" noch einmal aufzublättern, als Nigel Nicolson, Sohn von Vita Sackville-West, der engsten Freundin und zeitweiligen Geliebten Virginia Woolfs. Kurz und prägnant durchmisst Nicolson die Lebensstationen dieser manisch-depressiven, lebenslang kranken, aber hellwachen Persönlichkeit, die ihre Werke oft unter größten Qualen hervorbrachte. Als direkter Zeitzeuge der Entstehung solcher Klassiker wie Mrs Dalloway und Orlando -- der parodistischen Biografie seiner eigenen Mutter -- sind seine Erinnerungen hierbei von unschätzbarem Wert.

Nicolson wohnte als Knirps den Diskussionen des legendären Bloomsbury-Zirkels, dem Debattierclub der versammelten Londoner Avantgarde, bei. Ins Leben gerufen wurde dieser Zirkel von Virginia und drei ihrer leiblichen Geschwister. Nicolson beleuchtet nun neben Virginas Werk ihre Bedeutung als radikale Vorreiterin der Frauenbewegung sowie ihre Ansichten zur Natur des Krieges. Keineswegs ausgespart werden dabei ihr latenter Fremdenhass und Antisemitismus.

Virginia Woolf ist ein sehr persönliches Porträt einer beeindruckenden Frau, die gegen Ende ihres Lebens immer mehr abglitt in ihr "Tal der Verzweiflung", wie sie ihrem Tagebuch anvertraute -- bis sie dieses nicht mehr zu lebende Leben am 28. März 1941 auf schauerliche Art und Weise beendete. Bemerkenswerte Beobachtungen eines, der ganz nah dran war. --Ravi Unger

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