Kein Blick zurück

Roman von Anna Quindlen

Über

Nach Lektüre des neuen Buches von Anna Quindlen fehlten mir Momente lang die Worte. Das, was ich da gelesen hatte, glich einem Tatsachenbericht, stellenweise den Auszügen aus Polizeiberichten, und nur allmählich kommt Ordnung in verwirrte Gedanken, formiert sich so etwas wie eine Stellungnahme zum Gelesenen, einem absolut unter die Haut gehenden Roman, immer wieder begleitet von der Frage: Ist so etwas tatsächlich möglich? Die Antwort wiederum gibt jede Statistik für jede Stunde, jeden Tag, weltweit.

Frances Benedetto scheint alles zu haben, wovon man mit 19 Jahren träumen kann: Einen gutaussehenden Mann, behaftet mit all dem, was ins amerikanische Klischee paßt, muskulös, stattlich, ein Cop mit samtener Honigstimme, auf den eben -- klar -- jede Frau fliegen würde. Zehn Jahre später kommt Robert zur Welt, ein Wunschkind in einem perfekt scheinenden Zuhause. Und wiederum zehn Jahre später platzt die Tragödie aus der angeblichen Familienidylle heraus, wird das, was sich da hinter den ehrenwerten Ehekulissen abspielte mehr als offenkundig: Mit neuem Namen, neuer Identität verläßt Francis, jetzt Beth, gemeinsam mit Robert den Mann und Vater ihres Kindes. Die Tortur hat ein Ende, seine Schläge, Mißhandlungen, seine unkontrollierte und rohe Gewalt haben die junge Frau zu dem Schritt getrieben. Blaue Flecke, gebrochene Knochen, Ausreden bei Freunden, am Arbeitsplatz, ein ständiges Versteckspiel, ein ständiges Verdrängen, es muß ein Ende haben.

Aber der Roman ist nicht ausschließlich die Geschichte der Ehe, diese wird in Rückblenden, in zufällig an die Oberfläche kommenden Gedanken, in Assoziationen zum Alltagsgeschehen beleuchtet. Wie Gasblasen, die an der Wasseroberfläche sichtbar sind und auf einen Gärungsprozeß tief unter der Oberfläche schließen lassen. Der Roman schildert den unendlich mühevollen, mit Angst gepflasterten Weg einer Frau und Mutter, die dem Martyrium ihrer Ehe entflohen ist. Über eine Journalistin, die sich für Frauen einsetzt und ein Netzwerk an Hilfestellungen aufgebaut hat, erhält Frances ihre neue Identität, ein neues Zuhause, einen neuen Job. Frauensolidarität. Neuer Anfang, Ende gut, alles gut? Mitnichten. Wohnungen, Gardinen, Jobs, ja selbst noch Mitschüler, Freunde und Bekannte kann man wechseln, aber Wunden in der Seele, Erinnerungen an schwärzeste Momente, diese unglaubliche Angst vor Gewalt und Schlägen, all das hinterläßt Narben und das nicht enden wollende Gefühl von Unruhe und Unsicherheit. Und dann ist da noch Beths permanente Angst, ihr Mann könnte sie finden -- was dann auch -- ab hier wird's eindeutig Roman -- geschieht, und das gerade zu dem Zeitpunkt, als sie und Robert mit einer neuen Liebe und neuen Freunden glücklich zu werden scheinen.

Da ist nichts übertrieben, da sind keine Schnörkel, da sind einfach in Worte gefaßte Situationen, einfühlsam, zart und doch so gewaltig, daß Gänsehaut und Wut beim Leser nicht ausbleiben. Da ist ein Ende, das sprachlos und leer zurückläßt und da sind knapp 300 Seiten, die klarmachen, das gibt's ja nicht nur als Roman, vielleicht auch bei den Nachbarn, und keiner merkt's, vielleicht im Bekanntenkreis und es fiel noch nie auf, vielleicht im Elternhaus von Mitschülern und niemand hat bisher darüber geredet. Ein Roman, der relativ unspektakulär beginnt, um sich dann einfühlsam und bewegend Kapitel für Kapitel tiefer in die Schichten zweier verletzter Seelen vorzuarbeiten. Ein Roman aber auch, der nicht in Verletztheit, Ausweglosigkeit steckenbleibt, sondern realistisch, mit wie aus Tagebüchern entnommenen Worten schildert, wie viele Kräfte in uns stecken. Nicht nur, aber auch für betroffene Frauen ein bemerkenswertes Buch. --Barbara Wegmann

Erschienen

1998

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