Sieben Jahre Ewigkeit: Eine deutsche Liebe

von Gisela Heidenreich

Über

Das Blut singt, „innerste und zarteste Regungen“ werden offenbar, Leib und Seele verschmelzen. Schwülstige Treueschwüre in Briefform kreuzen die Flure. Wie im Sommer 1947 „eine deutsche Liebe“ ausgerechnet im Justizgefängnis der Nürnberger Prozesse vonstatten gehen konnte, davon handelt das nunmehr zweite Buch von Gisela Heidenreich. Erneut im Mittelpunkt, die eigene Mutter, dieses lebenslang unerreichbar kühle Wesen. Wie entflammbar diese Frau indes sein konnte, zeigen die Briefe, die Gisela Heidenreich nach dem Tod von Mutter Edith in ihrem Nachlass fand. Die glühende Liebespost zwischen ihr und dem mitgefangenen SS-Standartenführer Horst Wagner, angeklagt der Beihilfe des Mordes an Hundertausenden von Juden, zeigt auf perfide Weise, wie sich zwei verliebte NS-Täter in den reinsten Stand der Unschuld versetzen konnten!

Im Jahr 2004 erschien Das endlose Jahr , eine vielbeachtete beklemmende Biografiearbeit. Gisela Heidenreich erblickte 1943 in einem norwegischen „Lebensborn“-Heim der Nationalsozialisten das Licht der Welt, Ergebnis einer Liaison zwischen ihrer Mutter, einer Mitarbeiterin der „Lebensborn“-Zentrale und einem SS-Mann. Die späte, quälende Spurensuche nach ihrer Identität, behindert von der Halsstarrigkeit der greisen Mutter, offenbarte ein wahres Netz an Lebenslügen. Diese erhielten weitere Nahrung, als Heidenreich nach „Edis“ Tod das umfangreiche Konvolut schmachtender Liebesbriefe entdeckte, das im Nürnberger Gefängnis seinen Ausgang nahm und nach Wagners Flucht vor der Bestrafung durch die Alliierten sieben weitere Jahre heimlich fortgesetzt wurde. Erneut fühlte sich die Autorin um ein Stück eigener Geschichte betrogen.

Beleuchtete der Erstling noch den nationalsozialistischen Wahnsinn einer unsäglichen Rassenpolitik und die Legendenbildung um den „Lebensborn“, so ist der Nachfolger von geringerem historischen Gewicht -- fast schon ein Privatissimum. Die Briefe selbst liefern in ihrer Blut- und Boden-Liebessemantik nicht viel mehr als ein Zeitdokument. Weit wichtiger, Heidenreich rückt die Verstrickungen und Verdrängungen zweier NS-Akteure ins Rampenlicht, die sich an keiner Stelle der Vergangenheit stellen, stattdessen als Opfer agieren. Historisch problematisch gestalten sich – jenseits der Briefdokumentation -, jene Passagen, in denen die Familientherapeutin und Mediatorin Heidenreich romanhaften Spekulationen freien Raum lässt, oder vendettahaft anklagende Worte an die Mutter richtet. Und doch – man versteht es, angesichts dieser Mutter als unbekanntem Wesen. –Ravi Unger

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